Wer hat sich nicht schon einmal darüber geärgert, dass auf einem unwiederbringlichen Gruppenbild einer der Beteiligten die Augen geschlossen hat, wegschaut oder eine Grimasse schneidet. Der Grund ist ebenso einfach wie die Abhilfe, und beides lässt sich leicht mit Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung erklären.
Laut Wikipedia dauert bei Männern ein
Lidschlag zwischen 300 und 400 ms., und erfolgt etwa 11 mal in der Minute. Bei Frauen ist die Dauer etwas kürzer, dafür schließen sie die Augen 19 mal pro Minute. Das führt dazu, dass Männer die Augen etwa 7,3 Prozent ihrer wachen Zeit geschlossen haben, Frauen 9,5 Prozent; im Mittel also 8,4 Prozent.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Augen beim Abdrücken ist, liegt also im Mittel bei 91,6 Prozent (1-0,084). Bei einem Einzelfoto ist das OK, sollen mehrere Personen fotografiert werden, schwinden die Erfolgsaussichten jedoch schnell. Bei zwanzig Personen gemischten Geschlechts ist die Chance, auf Anhieb ein "gutes" Bild zu schießen (also eins, bei dem alle Augen offen sind), nur etwa 17 Prozent, also eins zu fünf. Bei 30 Personen sind es nur noch 7 Prozent, bei 30
Frauen sogar nur noch 5 Prozent ([1-0.095]
30). Man kann sich einem solchen Fall also ziemlich sicher sein, dass es
nicht klappt mit dem guten Foto - was ja auch die Erfahrung lehrt.
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Einerseits kann man die Anzahl der Versuche erhöhen. Also nicht eins, sondern zwei, fünf oder noch mehr Fotos schießen. Wer kennt nicht die Profis, die den Politiker mit acht Bildern pro Sekunde regelrecht "abschießen". Andererseits kann man versuchen, die Aufmerksamkeit der Gruppe zu erhöhen ("Haaallloooo", "jetzt kommt das Vögelchen", "Cheese", usw.) und so die Wahrscheinlichkeit für das Schließen der Augen zu vermindern (Aufmerksamkeit hält wach).
Sehen wir uns die erste Variante an. Die Formel für das Gelingen mindestens eines Bildes mit n Personen berechnet sich bei m Versuchen zu:
p(n,m) = 1-(1-((1-0,084)
n))
mVon größerer praktischer Bedeutung ist die Frage, wie oft man abdrücken muss, um bei n Personen mit ziemlicher Sicherheit mindestens ein gutes Foto im Kasten zu haben. Wenn man - wie das die meisten Statistiker tun - unter "mit ziemlicher Sicherheit" 95 Prozent versteht, kann man obige Formel nach m auflösen und erhält:
m = log
(1-0.916n)0.05
Für einige Werte von n kann man das Ergebnis der folgenden Tabelle entnehmen:
n m
-----
1 2
2 2
3 3
5 3
10 6
20 16
30 41
50 240
Wie man sieht, steigt die Anzahl der erforderlichen Auslösungen mit zunehmender Personenzahl stark an. Während bis etwa 10 Personen gut eine Handvoll Bilder ausreichen, muss man bei der 30er-Gruppe schon 41-mal abdrücken, bei der 50er sogar 240-mal. Was in den meisten Situationen, denen man als Amateur begegnet, natürlich unrealistisch ist.
Die Situation entspannt sich deutlich, wenn man es schafft, die Wahrscheinlichkeit des Lidschlags zu verringern, indem man beispielsweise die Aufmerksamkeit der Gruppe im Moment des Auslösens erhöht. Vermindert man sie nur auf die Hälfte, sinkt die Anzahl der nötigen Auslösungen erheblich:
n m
-----
1 1
2 2
3 2
5 2
10 3
20 6
30 10
50 25
Auch Gruppen mit 30 oder mehr Personen werden so mit guten Erfolgschancen fotografierbar. Als Faustformel sollte man sich merken, kleinere Gruppen mit 3 bis 5, und größere mit 5 bis 10 Auslösungen zu fotografieren.
Jeder Fotograf hat so seine eigenen Tricks, die Aufmerksamkeit auf den entscheidenden Moment zu lenken. Wichtig ist es, den Kontakt zur Gruppe zu halten und klar zu machen, wann man auf den Auslöser drückt. Ein langgezogenes "Aaaaaaaaaachtung", bei dem schon auf dem letzten "a" das erste Mal und unmittelbar nach dem "g" noch einmal abgedrückt wird, ist beispielsweise eine Möglichkeit. Insgesamt sollte die Stimmung gut sein, damit die Leute locker bleiben und nicht verkrampfen. Wichtig ist auch, zügig zu arbeiten. Die Spannung bleibt nicht lange erhalten, und wenn der Fotograf ewig braucht, um sein Bild in den Kasten zu bekommen, wird auch der Bemühteste den Spaß an der Sache verlieren und nicht mehr freundlich in die Kamera schauen.
Das folgende Bild zeigt ein Beispiel für ein Gruppenportrait mit über 40 Personen:
Abgesehen vom Auf- und Abbauen des Stativs und der Zeit, die benötigt wurde, bis alle richtig standen, hat die eigentliche Foto-Session nur zwei Minuten gedauert. Die allermeisten Personen auf dem Bild sind aufmerksam und schauen freundlich in die Kamera, nur drei blicken etwas zur Seite. Insgesamt habe ich knapp zehn Aufnahmen gemacht, davon drei mit Selbstauslöser.
Wie man sieht, kann man mit etwas Glück und den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung seine Chancen auf gute Bilder erheblich erhöhen. Wie diese Aussage und die hier verwendeten Formeln auch auf gänzlich andere fotografische Situationen übertragen werden können, werden wir in einem zukünftigen Artikel betrachten.
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