Seit der Markteinführung der Olympus E-P1 wird viel über die Geschwindigkeit ihres Autofokus diskutiert, insbesondere im Vergleich zur (subjektiv) deutlich schnelleren Panasonic G1, des zweiten derzeit erhältlichen Mikro-4/3-Kamera-Typs. Da ich beide Kameras besitze, bin ich der Sache auf den Grund gegangen und habe die Kameras und ihre Kit-Objektive kreuzweise miteinander verglichen.
Hält man beim Scharfstellen das Ohr ans Objektiv, fällt zunächst auf, dass das Kit-Objektiv der G1 nicht nur viel schneller scharfstellt, sondern auch viel leiser zur Sache geht als das der Olympus. Das legt die Vermutung nahe, dass nicht nur der Body, sondern auch das Objektiv in Bezug auf die Fokussiergeschwindigkeit eine Rolle spielt. Und es nährt die Hoffnung, dass die E-P1 mit dem G1-Objektiv schneller fokusiert als mit ihrem eigenen. Und dass Olympus bald hochwertigere m4/3-Objektive auf den Markt bringen könnte, mit denen die E-P1 ebenfalls deutlich schneller scharfstellt als mit dem (letztlich nur 100 EURO teuren) Kit-Objektiv. Und, und, und, ...
Um es vorweg zu nehmen: nach der Auswertung der Ergebnisse glaube ich eher nicht mehr daran. Doch Eins nach dem Anderen.
In einem festen Motiv-Setup mit konstanten Lichtverhältnissen (ca. 1/50 s., f/4.7, ISO 100) habe ich beide Kameras auf einem Stativ montiert:
Dann habe ich mit allen vier Kamera-Objektiv-Kombinationen getestet, wie lange die jeweilige Variante benötigt, um auf das 70 cm entfernte Objekt scharfzustellen:
Die handgestoppten Messungen habe ich je 30-mal wiederholt, um trotz der unvermeidlichen Schwankungen in den Ergebnissen statistisch aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen.
Nachfolgend die Tabelle mit den Rohdaten und einer ersten Bestimmung der Mittelwerte samt zugehörigen 95%-Konfidenzintervallen:
Man sieht zunächst, dass die E-P1 mit ihrem Kit-Objektiv im Mittel 1.30 Sekunden zum Scharfstellen braucht, während das G1-Kit für die gleiche Aufgabe nur 0.46 Sekunden benötigt. Der Unterschied ist statistisch hochsignfikant (p < 0.01), d.h. die Irrtumswahrscheinlichkeit ist kleiner als 1 Prozent. Die Ergebnisse decken sich zudem in etwa mit den (wesentlich genaueren) Messungen von
imaging-resource.com (
E-P1,
G1).
Kein Zweifel, das Panasonic-Kit stellt schneller scharf als das Olympus-Kit, und zwar im Mittel um ca. 0.8 Sekunden. Das entspricht fast Faktor 3, und man ist tatsächlich geneigt zu sagen, dass "Welten zwischen beiden Paketen liegen". Angesichts der Tatsache, dass die meisten einfachen Kompaktkameras heute schneller scharfstellen, würde ich Olympus Leistung bzgl. der Fokussiergeschwindigkeit der E-P1 fast als "beschämend" bezeichnen (die LX3 liegt in diesem Setup beispielsweise bei 0.81 s Sekunden).
Vergleichen wir nun Objektive und Gehäuse separat. Das Panasonic-Objektiv ist sowohl an der E-P1 schneller (etwa 150 ms.) wie auch an der G1 (etwa 480 ms.). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Gehäusen. Das G1-Gehäuse ist sowohl mit dem Olympus-Objektiv schneller (etwa 350 ms.) wie auch mit dem Panasonic-Objektiv (etwa 680 ms.). Etwas pointiert könnte man sagen, dass Panasonic sowohl das bessere Gehäuse baut als auch das bessere Kit-Objektiv - jedenfalls bezogen auf die Fokus-Geschwindigkeit.
Könnte man das E-P1-Kit durch Austausch einer der beiden Komponenten verbessern? Ja, bei Umstellung auf das Panasonic-Objektiv würde sich die Fokussierzeit um ca. 150 ms. verbessern, also um gut 10 Prozent:
Der Austausch des Gehäuses würde mit gut 25 Prozent sogar etwa doppelt soviel bringen - aber dann hätten wir keine E-P1 mehr vor uns, sondern halt eine G1 (die durch das Olympus-Objektiv um die Hälfte verlangsamt wurde):
Beide Kombinationen bringen nicht annähernd die Fokussier-Geschwindigkit des reinen Panasonic-Kits.
Zu bemerken wäre noch, dass all diese Unterschiede hochsignifikant sind. Sie ergeben sich, wenn man die
Konfidenzintervalle Mittelwerte der einzelnen Kombinationen miteinander vergleicht, oder durch Betrachtung der Konfidenzintervalle für die Differenzen der Mittelwerte; oder auch durch entsprechende
t-Tests. Zu analogen Aussagen kommt man bei Durchführung einer
Varianzanalyse.
Soviel zu den Fakten. Nun ins Reich der Spekulation; wie sind diese Unterschiede zu erklären?
Zunächst wollen wir annehmen, dass die Autofokuszeit Z sich aus zwei Komponenten G und O additiv zusammensetzt, also Z = G + O gelte. G sei die Zeit, die das Gehäuse benötigt (für Datenauswertungen, Rechenoperationen und Stellkommandos), O sei die Zeit, die das Objektiv benötigt (für die Ausführung der Stellkommandos). Um die beiden Hersteller zu unterscheiden, wollen wir Indizes p (Panasonic) und o (Olympus) anhängen.
Kann man die beobachteten Ergebnisse mit diesem einfachen Modell erklären, also Werte G
o, G
p, O
o und O
p finden, die das folgende Gleichungssystem lösen?
G
o + O
o = 1.30
G
o + O
p = 1.14
G
p + O
o = 0.94
G
p + O
p = 0.46
Die einfache Antwort ist nein, das Gleichungssystem hat keine exakte Lösung! Man kann allerdings versuchen, nach einer Näherung zu suchen. So liefern beispielsweise folgende Werte halbwegs brauchbare Ergebnisse:
G
o = 0.74
G
p = 0.22
O
o = 0.64
O
p = 0.32
Die gesamten Fokussierzeiten wären dann:
G
o + O
o = 1.38
G
o + O
p = 1.06
G
p + O
o = 0.86
G
p + O
p = 0.54
Was den tatsächlich gemessenen Werten relativ nahe kommt.
Wäre damit zu erwarten, dass zukünftige Objektive an der E-P1 erheblich besser peformen als das derzeitige Kit-Objektiv? Die Antwort lautet offenbar nein, denn das Gehäuse der E-P1 trägt nach diesem Modell immer selbst mindestens 0.74 Sekunden zum Gesamtergebnis bei. Selbst wenn Olympus es schaffen sollte, O
o beispielsweise auf 0.2 Sekunden zu reduzieren (und damit ein deutlich schnelleres Objektiv zu bauen als Panasonic es derzeit kann), bliebe die gesamte Autofokuszeit bei knapp einer Sekunde. Keine besonders rosigen Aussichten also.
Eine gewisse Hoffnung bieten Firmware-Updates, mit deren Hilfe G
o reduziert werden könte. Aus meiner Erfahrung als Software-Entwickler weiss ich, dass geänderte Algorithmen oft zu drastischen Performance-Verbesserungen führen können. Aber sollte nicht eigentlich die Phase der Performance-Optimierung bereits hinter uns liegen? Wir haben ja schließlich kein Vorserienmodell vor uns, und Olympus hat sich mit der Entwicklung der E-P1 eigentlich genügend Zeit gelassen. Im übrigen liegen aus Vormodellen mit Kontrast-Autofokus (E-3 usw.) schon Erfahrungen vor, so dass die Algorithmen für den Autofokus eigentlich ausgereift sein sollten. Hardware-Verbesserungen könnten natürlich ebenfalls leicht zu Faktor 2 führen (laut
Herrn Moore alle 2 Jahre), liegen aber außerhalb der Reichweite eines Firmare-Updates und blieben daher einem Nachfolgemodell vorbehalten.
Stimmt dieses Gedankenmodell auch nur einigermaßen, müsste natürlich auch ein Firmware-Update für das Kit-Objektiv her (jawohl, auch Objektive enthalten heutzutage eine Menge Software), um zu Autofokuszeiten zu kommen, die dem G1-Kit das Wasser reichen können.
Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass dieses Modell nur eine Näherungslösung liefern kann. Es erklärt insbesondere nicht vernünftig, warum das Panasonic-Objektiv von der G1 deutlich stärker profitiert als das Olympus-Objektiv. Ebenso wenig, warum die G1 vom Panasonic-Objektiv stärker profitiert als die E-P1. Bei einer rein additiven Zusammensetzung müsste der Austausch einer Komponente sich eigentlich auf beiden Systemen gleich auswirken.
Eine bessere Erklärung wäre die, dass Objektive und Gehäuse sich gegenseitig "beeinflussen" und eben gerade die Kombination aus beiden die Ergebnisse stark verändert. Meines Erachtens ist es insbesondere naheliegend anzunehmen, dass die Kombination Panasonic/Panasonic anders tickt als die übrigen drei und deshalb bessere Ergebnisse erzielt. Dass also neben dem normalen Micro-4/3-Autofokus-Modus, den alle kompatiblen Gehäuse und Objektive "sprechen", eine Art zweiter, Panasonic-eigener Modus existiert, der zwei- bis dreimal so schnell zu Werke geht wie der im Standard beschriebene.
Dass dieser Panasonic-proprietär sein muss, sieht man daran, dass weder das Panasonic-Objektiv die E-P1 nennenswert beschleunigt (von einem etwas schnelleren Autofokus-Motor einmal abgesehen), noch dass die G1 mit dem Olympus-Objektiv auch nur annähernd die Werte erreicht, die es mit dem eigenen Objektiv schafft (von etwas schnellerer Hardware einmal abgesehen). Mit Fremdfabrikaten verfällt die Panasonic-Technologie halt brav in den langsamen, aber kompatiblen Standard-Modus. Und die Olympus-Technologie (egal ob Gehäuse oder Objektiv) kann mit dem proprietären Modus des jeweiligen Panasonic-Gegenstücks nichts anfangen, erkennt ihn vermutlich nicht einmal.
Mir scheint das eine recht plausible Erklärung zu sein. Ob sie nun tatsächlich darauf zurückzuführen ist, dass Olympus die entsprechende Technologie nicht zur Verfügung hat, oder sie nicht bezahlen will, oder ob sie besseren und teureren Olympus-Geräten vorbehalten ist (damit etwa Panasonic als Technologie-Owner die Verkäufe seiner weitaus teureren GH1 nicht kannibalisiert), bleibt unklar. Rein technisch könnte so ein Beschleuniger natürlich auch in Software realisiert sein und durch Zahlung einer Prämie (oder durch einen findigen Hacker) aktiviert werden können.
Natürlich könnte auch Olympus eine proprietäre Erweiterung in petto haben. Eine von der Art, die bereits im Gehäuse der E-P1 implementiert ist, aber noch keine Wirkung zeigt, weil das (billige) Kit-Objektiv sie nicht beherrscht. Und die mit dem G1-Objektiv nichts bringt, weil sie ihrerseits zu Pansonics proprietärer Implementierung inkompatibel ist. Mit dem Erscheinen besserer (teurerer) Mikro-4/3-Objektive würde dann das unerwartete "Wunder" geschehen und die Fokuszeiten der E-P1 würden sich drastisch verbessern.
Das ist - wie gesagt - alles Spekulation.
Woran man glauben will, muss jeder für für sich selbst entscheiden. Ich jedenfalls vermute, dass die Fokuszeiten der E-P1 sich in nächster Zeit
eben nicht dramatisch verbessern werden, sondern im Großen und Ganzen auf dem Niveau bleiben, auf dem sie gerade sind - auch wenn mich das selbst nicht besonders glücklich macht. Ob dieser Einwand schwerwiegend genug ist, die E-P1
nicht zu kaufen, muss ebenfalls jeder selbst entscheiden. Neben der Autofokus-Geschwindigkeit gibt es ja noch das eine oder andere Kriterium, das bei einer solchen Entscheidung eine Rolle spielt. Und wie man das Fokus-Problem (falls es denn überhaupt eins ist) etwas entschärfen kann, habe ich bereits im Hauptartikel
Olympus E-P1 beschrieben. Gerade die hier in den letzten Tagen veröffentlichten Bilder zeigen ja durchaus, dass man auch mit der E-P1 ordentliche Ergebnisse erzielen kann.
PS. Olympus oder Panasonic, falls ihr diesen Beitrag lest, würden meine Leser und ich mich sehr freuen, wenn ihr Stellung dazu nehmen würdet.
Nachtrag: Am 15. September kam tatsächlich das erste Firmware-Update heraus. Wie es sich auf die Fokussiergeschwindigkeit auswirkt, lest ihr
hier.
Labels: equipment